Zur Geschichte der Seminarübungsschule
Dass in Callnberg 1856 ein Lehrerinnenseminar gegründet, ab 1922 in eine Deutsche Oberschule, zu DDR-Zeiten in eine Erweiterte Oberschule und nach 1990 in ein Gymnasium umgewandelt wurde, gehört in der Regel zum allgemeinen bekannten geschichtlichen Wissen in der Bevölkerung der Stadt.
Weniger ist über die Existenz und die Funktion der Übungsschule bekannt.
Die Stiftung des Lehreinnenseminars in Callnberg durch Fürst Otto Viktor I. von Schönburg –Waldenburg (der Stiftungsbrief datiert vom Februar 1855), war zum damaligen Zeitpunkt äußerst fortschrittlich für ganz Deutschland. Eine systematische Ausbildung von Frauen in Lehrberufen stand damals noch ganz am Anfang und bot bürgerlichen Mädchen die Möglichkeit zum Aufbau einer selbständigen beruflichen Existenz. Ebenso zukunftsweisend waren die Inhalte und Methoden der Ausbildung der Lehrerinnen, die vom Fürsten selbst festgeschrieben und überprüft wurden.
Für das Lichtensteiner Seminar wurden vom Fürsten sportliche Unterweisungen (gymnastische Übungen) der Seminaristinnen zur Pflicht gemacht und auch in der Übungsschule realisiert.
Die vermittelten Lehrinhalte entsprachen einerseits den zeitbezogenen Stand der Volkschulausbildung, ging aber auch über den üblichen Volksschulcharakter hinaus. Es wurden neben Rechnen und Geometrie, deutsche Sprache und Literatur, Anschauungsunterricht, Naturgeschichte, Heimatkunde, Zeichnen, Singen, Geschichte, Geografie, Sprachen und als besonderer Schwerpunkt die Kenntnisvermittlung im Katechismus und der Bibellehre, biblische Geschichte und Kirchengeschichte gelehrt. In allen Fächern und Stunden wurde großer Wert auf lautes, lautreines, freies und betontes Sprechen und orthografisch richtiges Schreiben und Schönschreiben gelegt.
Diese große Vielfalt an Unterrichtsfächern, die Möglichkeit Englisch und Französisch zu lernen und die Form und Inhalte der Unterrichtsführung machte die Übungsschule zu einer begehrten, aus den üblichen Normen herausgehobene schulische Einrichtung.
Eine methodisch-didaktische theoretische Ausbildung der Lehrerinnen erfolgte damals noch nicht umfassend. Aber in Übungsschulen war eine Unterweisung in der praktischen Unterrichtsführung durch Vormachen und Nachmachen möglich. Die theoretische Ausbildung umfasste Erziehungslehre.
Da in Callnberg an der Volksschule 460 Schulkinder von nur 3 Lehrern unterrichtet wurden, war eine Entspannung der Schulsituation durch die Einrichtung der Übungsschule gegeben.
Für die Aufnahme der Schüler in die Übungsschule wurden Bedingungen gestellt: Es wurden 80 sechs- bis vierzehnjährige Mädchen in die Schule aufgenommen und in zwei Klassen unterrichtet. In einer Order des Fürsten hieß es, dass Kinder bemittelter bzw. nicht ganz armer Eltern aufgenommen werden konnten. Damit sollte ein regelmäßiger Schulbesuch, Reinlichkeit und bessere Erziehung sichergestellt werden.
Es ist also davon auszugehen, dass die Übungsschule eine Art Musterschule darstellte.
Der Unterricht an der Übungsschule begann im Oktober 1856. Bis 1869 befanden sich Räume der Übungsschule im Erdgeschoss des westlichen Flügelgebäudes, die ursprünglich als Ställe genutzt wurden. Diese Räume waren sehr unzulänglich und dunkel. Mit der Aufnahme einer dritten Klasse waren die Räumlichkeiten endgültig zu eng geworden. Mit den größeren Umbauten Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurde auch ein gesondertes Übungsschulgebäude errichtet. Ostern 1882 wurde noch eine vierte Klasse aufgenommen.
1902 wurde die Übungsschule zur Mittleren Volksschule erklärt und existierte bis zur Umwandlung des Seminars in eine Deutsche Oberschule in den 1920er Jahren.
Angela Schramm, Verein für Geschichte der Stadt Lichtenstein/Sa.